EU Wölfe willkommen

Die Kommission der Europäischen Union bleibt gegen den Willen der Wirtschaft bei ihrem ambitionierten Naturschutz-Plan - zur Freude von Aktivisten.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

In der Europäischen Union bleibt es vorerst beim ambitionierten Naturschutz, wie er seit mehr als 20 Jahren praktiziert wird, oft gegen die Interessen von Landwirtschaft und Industrie. In einer Grundsatzentscheidung sprach sich die EU-Kommission am Mittwoch dagegen aus, die entsprechende europäische Gesetzgebung grundlegend zu verändern. Stattdessen sollen Probleme, die eine Überprüfung aufgezeigt hat, mit Hilfe eines Aktionsplans beseitigt werden. "Wir schauen, was herauskommt", sagte ein Kommissionssprecher, "dann sehen wir, ob weitere Schritte nötig sind." Umweltverbände sprachen von einem "wichtigen Tag für den europäischen Naturschutz". Sie hatten vehement vor einer Veränderung gewarnt.

Die EU-Naturschutzpolitik beruht im Wesentlichen auf zwei EU-Direktiven: der Vogelschutzrichtlinie aus dem Jahr 1979 und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie von 1992. Zusammen schaffen sie ein Netz aus Schutzgebieten namens Natura 2000, das eine Fläche von 18 Prozent der Oberfläche der EU-Staaten und sechs Prozent der Wasserfläche umfasst. Es trägt mit nationalen Programmen entscheidend dazu bei, Wölfe, Luchse, Laubfrösche, Wildgänse und 1500 andere Arten und Habitate zu schützen. Dass Wolf, Kranich, Seeadler oder Biber nach Deutschland zurückkehrten oder erhalten blieben, ist zu einem großen Teil diesen Gesetzen zu verdanken. Auf diese Weise kann die EU auch ihre Artenvielfaltsziele bis 2020 erreichen.

Aus Brüsseler Sicht handeln lokale Behörden oft stur, aus Angst, ein Risiko einzugehen

Viele der Schutzgebiete dürfen wirtschaftlich genutzt werden, allerdings mit teilweise erheblichen Einschränkungen. So muss eingehend geprüft werden, wie umweltverträglich ein geplanter Eingriff ist. Das führt zu komplizierten und vor allem langwierigen Genehmigungsverfahren - etwa beim Bau von Brücken, Flughäfen, touristischen Anlagen oder beim Abbau von Rohstoffen -, die auf Investoren abschreckend wirken können. Auch Land- und Forstwirte klagen über zu viele Hürden. Vielerorts fehlen die eigentlich vorgesehenen Management-Pläne, mit denen die Interessen ausgeglichen werden sollen.

Dass diese Politik nun infrage gestellt wird, liegt an einem der zentralen Versprechen der EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker: weniger und besser zu regulieren. Bei seinem Antritt Ende 2014 hatte Juncker Umweltkommissar Karmenu Vella beauftragt, die beiden Richtlinien einem "Fitness-Check" zu unterziehen und sie gegebenenfalls zu einer einzigen neuen Richtlinie zusammenzufügen.

Umweltschützer warnten damals, Juncker habe das Ergebnis vorweggenommen und beuge sich mächtigen Wirtschaftsinteressen. Sie starteten eine intensive Kampagne in den sozialen Medien. Allerdings freuten sie sich über die anschließende Evaluierung der Richtlinien, die aufwendigste, die es bisher gab in der EU. Befragt wurden alle relevanten Akteure und Regierungen; 500 000 Bürger beantworteten einen Online-Fragebogen. Heraus kam eine klare Präferenz für den Status quo, die auch das Europäische Parlament und die Bundesregierung teilen. Die Richtlinien hätten sich "grundsätzlich bewährt", schrieben Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) an Vella. Sie böten Rechtssicherheit, und die Betroffenen hätten gelernt, mit den Vorgaben umzugehen. Eine Änderung oder Zusammenlegung der Richtlinien sei daher "nicht zielführend".

Der Fitness-Check hat laut kommissionsinternen Papieren eine Reihe von Schwachstellen aufgezeigt. So handelten lokale Behörden oft stur, aus Angst, ein Risiko einzugehen. Dabei ließen die Richtlinien Flexibilität durchaus zu, aber es fehle das nötige Wissen, auch in Bezug auf mögliche Fördertöpfe der EU. Zudem sei die Liste mit den geschützten Arten nicht aktuell. Während einige darauf fehlten, stelle sich bei anderen, etwa Wölfen und Wildgänsen, die Frage, ob nicht weniger Schutz inzwischen ausreichen würde.

Der Aktionsplan, der im Detail noch nicht steht, soll die Probleme bei der Umsetzung beseitigen. Unter anderem sieht er regelmäßige Treffen mit Bürgermeistern und anderen lokalen Akteuren vor. Diese sollen sich stärker von Lösungen leiten lassen, die anderswo in Europa erarbeitet wurden. Auch sollen Anreize für nationale und regionale Investitionen in Biodiversität geschaffen werden.

Deutlich erkennbar ist in der Kommission die Absicht, wirtschaftlichen Akteuren mehr "Chancengleichheit" zu verschaffen. Sie seien besser einzubeziehen, ihre "berechtigten Interessen" seien zu berücksichtigen. Als Beispiel für Flexibilität wird der Plan eines Hotels in einem Schutzgebiet am Meer genannt. Statt den Bau von vornherein zu untersagen, könne man über eine Verlegung weg von der Küste nachdenken, um den Lebensraum bedrohter Tierarten zu erhalten.

Quelle: Süddeutsche Zeitung 7. Dezember 2016